Cookie Consent by Free Privacy Policy Generator website Gratwanderung zwischen Verdammnis und Vergebung | Theatergemeinde metropole ruhr | Ihr Weg zur Kultur

Gratwanderung zwischen Verdammnis und Vergebung

Wagners „Tannhäuser“ im Aalto-Theater

Die gute Nachricht zuerst: Musikalisch erlebte man eine Darbietung der Spitzenklasse. Mit Daniel Johansson (Tannhäuser), der in Essen bereits als grandioser Lohengrin gefeiert worden war, Astrid Kessler (Elisabeth), Deirdre Angenent (Venus) und Heiko Trinsinger (Wolfram von Eschenbach) konnte das Aalto-Theater eine hochkarätige Besetzung aufbieten, in die sich der bayreutherfahrene Albert Pesendorfer (Landgraf Hermann) für den erkrankten Karl-Heinz Lehner nahtlos einfügte. Und die Essener Philharmoniker unter Tomás Netopil – in der Ouvertüre noch etwas verhalten (und "gestört" durch überflüssige Videoprojektionen) - steigerten sich im Verlauf der Oper zu einem musikalischen Feuerwerk, dabei aber zart und verhalten in den lyrischen Passagen. Fabelhaft!

Dennoch sah man in der Pause nach dem ersten Akt etliche ratlose Gesichter und hörte ebensolche Kommentare. Das Regieteam (Paul-Georg Dittrich, Pia Dederichs, Lena Schmid) tut sich und dem Publikum keinen Gefallen, wenn es die Venusbergszene so klinisch nüchtern gestaltet, dass nicht einmal die Andeutung einer erotischen Atmosphäre aufkommen kann. Einzig der riesige Torso der Venus von Milo soll auf die Liebesgöttin hindeuten. Wen wundert es, dass Tannhäuser dem entfliehen möchte? Außerdem sorgen fortlaufende dominant wirkende Videoeinspielungen (die schließlich die Geburt eines Kindes zeigen – die Tochter von Venus und Tannhäuser, die im Folgenden öfter ins Bühnengeschehen eingebunden wird) dafür, dass selbst Wagners flirrend sinnliche Musik irgendwie nicht recht zum Zuge kommt.

Das ändert sich schlagartig mit Beginn des zweiten Aktes. Die Ausstattungswerkstätten des Aalto-Theaters haben ein wunderschönes Bühnenbild gebaut, das die ganze Breite und Tiefe der Bühne ausnutzt. Das Regieteam hat praktisch Raffaels berühmtes Fresko „Die Schule von Athen“ nachgestellt, das 1510 für Papst Julius II. geschaffen worden war und eine Versammlung der wichtigsten Wissenschaftler und Philosophen von der Antike bis zur Renaissance zeigt. Anstelle der im Gemälde zentralen Figuren Platon und Aristoteles steht eine (fahrbare) Säule mit der zerbrochenen Venus-Skulptur. Ein Fest für die Augen! Und wenn Elisabeth dann in die Halle hereinstürmt und mit jugendlich strahlenden Sopran ihre Arie "Dich, teure Halle, grüß ich wieder" gestaltet, findet wirklich große romantische Oper statt. Die stärksten Momente in Dittrichs Regie werden beim Sängerwettbewerb offenbar: Während die "einheimischen" Sänger die Liebe als Wunderbronnen preisen, an dem man nicht nippen darf, tritt der Revolutionär Tannhäuser ihnen entgegen und beschreibt das Wesen der Liebe im Genuss, den man auskosten müsse. Angewidert wenden sich die Gäste auf der Bühne - mit Masken bedeckt - von ihm ab, nur die bisher keusche Elisabeth windet sich hin - und hergerissen auf ihrem Stuhl: Neben der geistigen Liebe empfindet sie bei Tannhäusers Worten auch die Sehnsucht nach deren sinnlichen Freuden. Und wenn Elisabeth und die inzwischen in die Halle getretene Venus aufeinander zugehen, um sich schließlich im Kuss zu vereinigen, zeigt uns die Regie, dass wirkliche Liebe eines Paares nicht nur auf einen Teilaspekt reduziert werden kann, sondern als Vereinigung des geistigen und sinnlichen (d. h. damals "christlichen" und "sündigen") Anteils erfolgen muss. Auch Venus, die ja unbedingt Tannhäuser zu halten versuchte, sucht letztlich nach der wahren Liebe.

Tannhäuser soll beim Papst um Vergebung für sein sündiges Verhalten bitten, um nicht der ewigen Verdammnis anheim zu fallen. Der dritte Akt bietet ein sehr nüchternes Bühnenbild, die wesentlichen Akteure sitzen auf einer Bank und verlassen sie nur, wenn sie szenisch in Erscheinung treten sollen. Nach dem wunderschön gesungenen Chor der aus Rom zurückkehrenden, von ihren Sünden erlösten Pilger nimmt Elisabeth im bewegenden Gebet Abschied vom irdischen Leben, weil Tannhäuser nicht zurückkehrt. Hier greift die Regie am stärksten in die Handlung ein: Ausgerechnet der edle Wolfram fällt über sie her, vergewaltigt und erwürgt sie. Muss das sein? Dieser Einfall ist nicht neu, er entspricht der letzten Bayreuther Tannhäuser-Inszenierung und konterkariert die unmittelbar darauf folgende Szene: Wolfram fleht in seinem Lied an den Abendstern für Elisabeth "… vom Herzen, das sie nie verriet, grüsse sie, wenn sie vorbei dir zieht, wenn sie entschwebt dem Tal der Erden, ein sel‘ger Engel dort zu werden!" Heiko Trinsinger singt dieses Lied mit so viel Gefühl, dass man den Regieausrutscher verzeiht, zumal der Wohlklang der begleitenden Celli und der Harfe verzaubert.

Der spannungsgeladene dramatische Höhepunkt ist die Romerzählung: Tannhäuser kehrt zurück und berichtet Wolfram, dass der Papst ihn trotz aller Reuebekundungen verdammt hat. Dazu verlässt Daniel Johansson die Bühne und geht in die Zuschauerreihen. Das ist überwältigend, denn er gestaltet diese schwierige Erzählung intensiv und mit voller Sangeskraft. Venus erscheint und will ihn wieder zu sich in den Venusberg locken, aber Wolframs Hinweis, dass Elisabeth sich geopfert habe, um Vergebung für Tannhäuser zu erlangen, hält ihn von dem verhängnisvollen Schritt ab. Die Schlusstakte der Oper sind dem überragenden, von Klaas-Jan de Groot einstudierten Chor vorbehalten: Vom dritten Rang verkünden die Pilger Tannhäusers Erlösung, Tomáš Netopil und das Orchester sorgen mit einem gewaltigen Crescendo für einen weiteren Schauermoment – und davon gab es etliche in der über vier Stunden dauernden Aufführung. Heftiger Beifall und stehende Ovationen belohnten verdientermaßen die Leistung des gesamten Ensembles.

Ullrich Haucke

Tannhäuser | © Forster

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